Freitag, 6. April 2012

Grass und der Niedergang der Medien

 Günter Grass hat sich geäussert. Er hat ein Gedicht geschrieben. Er hat sich einseitig, parteiisch geäussert.  Er hat die Politik Israels kritisiert und, ja, er hat nicht im gleichen Atemzug den Iran angegriffen, weil das ja bereits von vielen andern, viele Male geschehn ist. Damit hat er den Zorn der veröffentlichten Meinung auf sich gezogen und er hat die verinnerlichte Gleichschaltung der deutschen Presse und Fernsehlandschaft öffentlich gemacht.

 Und weil er diese Einheitsmeinungsverkäufer bloß gestellt hat, giessen sie Kübel voll Schmutz über ihn aus, anstatt sich sachlich und bitte auch kritisch mit dem auseinander zu setzen, was Grass geschrieben hat.

 Grass kritisiert die israelische Regierung weil sie offen mit einem Bombenangriff auf die iranischen Atomanlagen droht, selbst aber ca. 200 atomare Sprengköpfe in ihren Arsenalen hat. Wofür hat eine Nation, die zugegeben von, ihr feindlich gesonnenen Staaten umgeben ist, so viele Atomspregköpfe. Warum hat sie überhaupt Atomwaffen? Wen will Israel abschrecken? Jordanien, Libanon, Ägypten, Syrien, die Hamas? Dieses Israel ist bis an die Zähne bewaffnet, konventionel, in seinen Magazinen stapelt sich Kriegsgerät vom allerfeinsten. Damit kann sich Israel alle Feinde vom Leibe halten. Dazu kommen die USA, die sofort auf Seiten der Israelis in den Krieg ziehen werden, mit all ihrem Tod und Vernichtung bringenden Kriegsgerät, falls das nötig sein würde.

 Ein atomarer Schlag auf Israels Nachbarn, als Ultima Ratio, würde noch dazu nicht nur seine Feinde vernichten, sondern den eigenen Untergang bedeuten. Die Atombombe ist also keineswegs eine Option der Selbstverteidigung.

 Selbst wenn für den Schlag gegen die iranischen Atomanlagen keine Nuklearwaffen eingesetzt werden, und das ist ja wohl auch nicht geplant, kann man sich ausrechnen, welche Folgen die Zerstörung eines, in Betrieb befindlichen, Atomkraftwerkes hätte. Zerstörung, atomare Verseuchung und zigtausende von Toten unter der Zivilbevölkerung wären die Folge. Grass hat das angesprochen, ist er deshalb ein Antisemit?

 Deutschland liefert in diesem Jahr das sechste U-Boot an Israel aus. Diese U-Boote werden zu schwimmenden Abschussrampen für Mittelstreckenraketen umgebaut. Sie sind somit ein wichtiges Teil des Trägersystems für die Nuklearsprengköpfe. Sind wir Deutschen, gerade mit unserer Geschichte, wirklich dazu verpflichtet, solch todbringende Waffensysteme an Israel zu liefern?

 Es wird argumentiert, wenn es denn überhaupt thematisiert wird, Deutschland müsse alles tun um einen zweiten Holoaust zu verhindern. Wir könnten schliesslich nicht zulassen, das ein ganzes Volk von seinen arabischen Feinden vernichtet würde. Mal ganz davon abgesehen, dass, wie oben bereits erwähnt, die militärischen Kräfteverhältnisse ein solches Szenario gar nicht zulassen, kann man das eigene Verbrechen, die Shoa, nicht durch ein Weiteres, die Beihilfe zum atomaren Vernichtungskrieg, wieder gut machen.

 Ist es nicht eher an uns, Frieden zu stiften, statt eines bis an die Zähne bewaffneten Waffenstillstands. Es ist an uns, Unterstützung zu leisten, auf beiden Seiten, um Vertrauen zu schaffen und den Kriegstreibern und Hetzern den Nährboden zu entziehen, der sich aus Unwissenheit, Armut, Not und Elend speist. Das ist freilich mühsamer und weniger mit Beifall behaftet, als die Lieferung von U-Booten. Das ist meine feste Überzeugung und wenn mich dafür Leute wie Broder oder Giordano Antisemit schimpfen, dann kann ich damit leben.

 Grass, so heisst es, stelle eine finstere Diktatur auf eine Stufe mit der einzigen Demokratie in der Region. Einerseits wage ich Zweifel anzumelden, ob denn die Palistinenser, die noch immer von ihrem Grund und Boden vertrieben werden, die ein Leben wie Menschen zweiter Klasse führen müssen, das ähnlich sehen. Zum Anderen haben wir wenig Grund eine grosse Nation zum medial zum Abschuss frei zu geben, die schon eine Hochkultur hervorgebracht hat, als unsere Vorfahren sich noch gegenseitig den Schädel eingeschlagen haben, nur weil uns das Regierungssystem nicht gefällt.

 Es ist müssig, sich mit den einzelnen Kommentaren in den Medien  zu Grass’ Gedicht zu befassen. Sie reichen von Unverständnis über Bezichtigungen der Lüge, die Thematisierung der Mitgliedschaft in der Waffen SS des damals siebzehnjährigen, bis hin zu persönlichen Angrffen und übelsten Beschimpfungen. Abwägende, sich sachlich mit den Diskussionsanstössen auseinadernsetzende Beiträge sind äusserst selten. So bestätigen die Redakteure und Kommentatoren, die im letzten Jahr die Bomben auf Libyen herbeigeschrieben haben und die nun ihre Hände in Unschuld waschen, ob des dort angerichteten Chaos', ungewollt ihre böse, unreflektierte Angepasstheit, die an einer Presse der freien Köpfe zweifeln lässt.

 Die sprachliche Verwahrlosung unserer Journalie bringt Sebastian Hammelehle von Spiegelonline auf den Punkt, wenn er seinen Kommentar über den um Frieden und Ausgleich ringenden Grass mit den kriegerischen Worten beendet: „Eines aber ist gewiss: Der lyrische Erstschlag ist geführt - und das von deutschem Boden aus.“

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen