Dienstag, 12. März 2013

Bertelsmannstiftung fordert Rente mit 69


 Pünktlich zur 10-Jahresfeier der Agenda 2010 melden sich die Erfinder dieses einmaligen Sozialnivelierungsprogramms, die Bertelsmannstiftung, wieder zu Wort und fordert in einer Studie eine weitere Erhöhung des Renteneitrittsalters auf nunmehr 69 Jahre. Und wieder bemüht der Autor, Prof. Martin Werding, ein Ziehsohn des Chefs des Münchner Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, die alten Annahmen wie schon im Jahr 2000. Grundlage aller Überlegungen ist ein Blick in die Glaskugel der Demographie. Werding behauptet allen Ernstes vorraussagen zu können, wie die Gesellschaft in 50 Jahren altersmässig aufgebaut ist und erhebt den Anspruch seine Berechnungen entsprächen seriöser Wissenschaft.

 In Wirklichkeit sind solche Voraussagen und Berechnungen reine Propaganda. Sie führten Anfang des Jahrtausends zur Einführung der Riesterrente, die mittlerweile als völlig ungeeignet zur Sicherung der Altersrente angesehen wird. Sie hat bestenfalls zur üppigen Altersversorgung einiger Manager und Verkäufer in der Versicherungswirtschaft geführt.

 Werding und die Bertelsmannstiftung lassen so ziemlich alles, was wirklich für ein Zustandekommen eines vernünftiges Einkommen im Alter wichtig ist, völlig außer Betracht. Die Bertelsmannstiftung betreibt hier, finanziert durch Steuermittel, Volksverdummung. Bevor das Renteneintrittsalter erhöht wird, was in aller Regel nicht mehr Geld in die Kassen der Rentenversicherung spült, sondern zu einer Absenkung der Renten führt, da kaum jemand noch in der Lage ist, bis zu seinem neunundsechzigsten Lenbensjahr zu arbeiten, sollte zunächst einmal für eine gerechte Verteilung des von allen erwirtschfteten Ergebnisses aus der Erwerbstätigkeit gesorgt werden.

 Vierzig Jahre sind die Steigerungen der Produktivität einzig und allein der Kapitalseite zu Gute gekommen. Für die Arbeitnehmer blieb bestenfalls ein Inflationsausgleich übrig. Der ständig zunehmende Reichtum unserer Gesellschaft kam wanderte nur bei einigen wenigen in die ohnehin prall gefüllten Geldsäcke. Und damit dass in Zukunft so bleibt, das ist der Sinn dieser Verdrehung der Tatsachen. Nicht die Anzahl der Beitragspflichtigen in 20, 30 oder gar 50 Jahren ist entscheidend für die Höhe der Rente, sondern deren Leistungsfähigkeit.

 Ein interessanter Vergleich zeigt wie entscheidend der Produktivitätszuwachs ist. Im Jahr 1900 waren 38% der deutschen Bevölkerung in der Landwirtschaft tätig, heute sind es gerade einmal noch 2,1%. Die Produktivität hat in den etwas mehr als 100 Jahren dermassen zugenommen, dass wenn 1900 ein Landwirt gerade einmal vier Menschen mit seiner Arbeit ernähren konnte, er heute immerhin 133 Menschen versorgt.. Während also die Anzahl der Landwirte in den letzten 113 Jahren dramatisch abgenommen hat, werden heute mehr Menschen besser ernährt als im Jahre 1900. Nicht die reine Anzahl der Landwirte ist entscheidend, sondern deren Produktivität.

 Geht man von einer Produktivitätssteigerung der deutschen Wirtschaft von durchschnittlich, mageren 1,2% jährlich aus, so wird in 50 Jahren jeder einzelne Arbeitnehmer 80% mehr erwirtschaften als heute. Wird dieser Zuwachs so verteilt, dass er durch Lohnerhöhungen den versicherungspflichtigen Arbeitnehmern zu Gute kommt, sind die Rentenzahlungen an die alten Menschen des Jahres 2060 mühelos zu finanzieren..

 Ein weiterer Grund für die schwierige gegenwärtige Lage der Sozialsysteme ist die stetige Zunahme der Menschen, die prekär beschäftigt sind. Menschen, die Vollzeit arbeiten, aber nicht genug verdienen, um später von ihrer Rente leben zu können. Sie zahlen gar nichts, oder nur einen minimalen Betrag in die Rentenkasse ein. Immer mehr Arbeitnehmer werden auch in die Scheinselbstständigkeit getrieben. Die Zahl der Einzelunternehmer, die bewaffnet mit ein wenig Werkzeug oder einem Auslieferungsfahrzeug als Subunternehmer mühseelig ihren Lebensunterhalt verdienen, stieg von 2003 bis 2009 um 20%, die der sogenannten „Freien Mitarbeiter“ stieg sogar von 2002 bis 2010 um 80%. Alle diese Menschen tragen wenig bis gar nichts zur Sicherung der Rentenkasse bei.

 Ob Menschen in Zukunft bis zur Vergreisung arbeiten müssen ist also keineswegs eine Frage der Demographie, sondern eine Frage der Macht. Da aber die Machtfrage in einer Demokratie gegen die Mehrheit der Bevölkerung nicht offen gestellt werden kann, werden Sachzwänge, wie die demographische Entwicklung konstruiert. Hagen Kühn schieb in den „Blätter für deutsche und internationale Politik“ Nr. 6 in 2004 bereits: „Wenn die Sachzwänge öffentlich zu einem Bedrohungsszenario dramatisiert worden sind, werden Restriktionen zu scheinbar zwingenden Schlussfolgerungen, ja Rettungstaten.“ Der ehemalige Vorsitzende der SPD, Arbeits- und Szialminister und Vizekanzler, Franz Müntefering, brachte es auf den Punkt: „ Die Demographie macht den Umbau unserer Sozialsysteme zwingend notwendig.“

 Der Autor der Studie, der Professor für Sozialpolitik und Sozialökonomie an der Ruhr-Universität Bochum, Martin Werdig, arbeitet häufig und gern für die Bertelsmannstiftung. Er wird immer dann gerufen, wenn die Familie Mohn der Meinung ist, wieder einmal den Dampfhammer des demographischen Niedergangs schwingen zu müssen, um ihre Privilegien zu sichern.

 Wie sauber der Herr Professor dabei arbeitet bezeugt folgendes Schaubild, dass er in seiner Schrift: „Gesetzliche Rente, demographischer Wandel und öffentliche Finanzen“, 2012, aus der Bertelsmann-Schriftenreihe „Zukunft Soziale Marktwirtschaft“ veröffentlicht, in der er zu beweisen versucht, wieweit ein Renteneintrittsalter von 65 Jahren die Gesamtverschuldung der Bundesrepublik erhöhen würde.


 Die, vom Autor, angelegte purpurfarbene Hilfslinie beweist, dass der Herr Professor einfach die gegebenen Eckpunkte 1990 - 2010 mit einem Lineal verlängert hat, um auf den Endpunkt 2060 zu kommen. Die gezogenen hellblaue Bogenlinie ist reine Kosmetik. Die gerade verlängerte Linie lässt Sonderfälle, die mit der demographischen Entwicklung in Deutschland rein gar nichts zu tun haben, wie etwa der Anstieg der Staatsschulden durch die Bankenrettung, vollkommen ausser Acht.

 Der Auftraggeber der Studie, die Bertelsmannstiftung, ist der steuermindernde Arm der Familie Mohn. Die Stiftung ist Im Besitz der Mehrheit am Bertelsmannkonzern und somit keinesfalls der neutrale Beobachter, als der sie sich allzu gerne gibt, sondern Marktteilnehmer mit Arbeitgeberinteressen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen