Donnerstag, 4. April 2013

Die neuen Forderungen der Wirtschaft: Arbeiten bis 70 , 80 oder gar bis ins Grab


 „Henrik Müller, stellvertretender Chefredakteur bei manager magazin, überrascht immer wieder durch originelle Blickwinkel auf Wirtschaft, Politik und Gesellschaft“, so stellt das Managermagazin seinen Autor Henrik Müller im Internet vor.

 Der fackelt dann auch nicht lange und führt uns seinen originellen Blickwinkel gleich in der Überschrift seines Artikel auf Spiegel online vom 30. April vor: „Uns geht’s besser als wir glauben.“ Mit uns meint der Mann allen Ernstes uns Deutsche und man fragt sich wirklich, wie undifferenziert dürfen deutsche Journalisten eigentlich die Welt beschreiben, ohne sich vollends lächerlich zu machen?

 Wie abgehoben, wie weltfremd muss man sein, um aus dem vollklimatisierten Büro, ausgestattet mit edelsten Büromöbeln, von denen ein mittelgrosser Schreibtisch den Wert des Monatsgehaltes eines Facharbeiters hat, und von dem Geld das ein Bürostuhl kostet, zwei Hartz IV-Emfänger einen Monat lang leben müssen, alle Menschen in Deutschland über einen Kamm zu scheren und zu verkünden, allen gehe es besser als sie selber glaubten? Kein Wort darüber, wer von der angeblich so florierenden Wirtschaft profitiert und wer darunter leidet. Kein Wort darüber wie die Gesellschaft immer weiter auseinanderdriftet. Kein Wort darüber, auf Kosten welcher Menschen der deutsche Exportwahnsinn realisiert wird. Müller will diesen Teil der Bevölkerung nicht sehen, Parias, Kulis der Globalisierung, die in den Klubs und Restaurants in denen einer wie Müller verkehrt, gar keinen Zutritt erhalten. Es sei denn als Putzfrau mit mehreren 400-Eurojobs.

 Worauf stützt sich nun die Annahme, den Deutschen gehe es besser als sie selbst meinten? Sie geht zurück auf den sogenannten „Konjunkturindikator“, den das im Hause Spiegel erscheinende "Manager  magazin", monatlich vom Kieler "Institut für Weltwirtschaft (IfW)", neudeutsch: "Kiel Economics", berechnen, oder besser, aus der Glaskugel lesen lässt.

 Um 2,2%, so der Konjunkturindikator könne die Wirtschaft in den nächsten zwölf Monaten wachsen. Alle anderen Prognosen gehen allerdings nur von einem Wachstum weit unter einem Prozent aus. Die Deutsche Bank sieht ein Wachstum von 0,3 %, die Bundesregierung von 0,4 % die EU-Kommission von 0,5 % und der Internationale Währungsfond IWF glaubt nicht an ein Wachstum von über 0,6 %. Da taucht unwllkürlich die Frage auf, sind die anderen Wahrsager alles Deppen, oder hat die Prognose des Managermagazins und des „Kiel Economocs“ gar nichts mit seriöser Wissenschaft zu tun?

 Die Antwort darauf gibt der Konjunkturexperte des Kieler Instituts, Joachim Scheide, dann gleich selbst: „Die stärksten Wachstumsimpulse gehen von höheren Erwerbsquoten Älterer aus“. Also die Rente mit 70 oder wie der ehemalige Superminister der zweiten Regierung Schröder, Wolfgang Clement, meint, mit 80, so will man uns allen Ernstes weismachen, bringt uns Allen Wohlstand und Reichtum.

 Aber mit diesem Neoliberalen Schwachsinn steht das „Kiel economics“ nicht allein da. Auch andere, sich selbst wissenschaftliche Institute nennede Einrichtungen, gestützt und weitgehend von der Wirtschaft finanziert, stimmen plözlich das gleiche Liedchen von der zeitlich unendlichen Arbeitskraft der Arbeitnehmer an.

 Der Chef des von der Deutschen Post AG finanzierten Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA), Klaus Zimmermann, warnte laut Welt.de vom 10. März, Deutschland ruhe sich auf dem eigenen wirtschaftlichen Erfolg aus. Er hält das für „brandgefährlich“ bemüht sogar das „demograhische Chaos“ das uns in spätestens fünf Jahren auf die Füsse falle. Zimmermann wörtlich: „Die Rente mit 70 ist unabdingbar“.

 Zimmerman selbst fiel in letzter Zeit weniger durch seine wissenschaftliche Arbeit auf, sondern durch den Rausschmiss als Chef des Deutschen Institut für Wirtschaftforschung (DIW), weil er mit öffentlichen Mitteln, zugunsten seines Einkommens, nicht so ganz korrekt umgegangen war.

 Auch die akademischen Handaufhalter vom Essener „Rheinisch-Westfälischem Instituts für Wirtschaftsforschung" (RWI), und das „Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung“ (ZEW) aus Mannheim, haben zusammen mit dem IFW aus der Glaskugel gelesen, dass das Arbeitsvolumen und somit das Produktionspotenzial bis 2030 um 16 % sinken könnte.

 Nun ist das Arbeitsvolumen von ausgesprochen geringer Bedeutung für die Entwicklung einer Volkswirtschaft. Ginge es bei der Prosperität einer Volkswirtschaft um das Arbeitsvolumen, hätte die ehemalige DDR geradezu im Geld schwimmen müssen, denn dort arbeiteten ja annähernd alle erwachsenen Personen. Ausschlaggebend ist einzig und allein die Produktivität, aber das stört den Chef des RWI's und gleichzeitigen Vorsitzenden der Wirtschaftsweisen, Christoph Schmidt, wenig. Die Menschen, so Schmidt, würden immer älter, bei zunehmender Gesundheit und da „ist es sinnvoll, diese zusätzlichen Lebensjahre etwa im Verhältnis zwei zu eins auf zusätzliche Arbeitszeit und freie Zeit aufzuteilen“.  Soll heissen: Steigt die Lebenserwartung um drei Jahre, so sollen die Alten zwei Jahre davon länger arbeiten. Ein Arbeitsleben bis in den Sarg ist mit dieser Strategie schnell erreicht.

 Bei so viel fröhlicher Sklaventreiberei will dann auch die Bundesanstalt für Arbeit nicht abseits stehen. So liess sie ein paar skurile Zahlen verbreiten. Laut „Frankfurter Allgemeinen“ ist die Beschäftigungsquote der über Sechzigjährigen im letzten Jahr um 2,4 Prozentpunkte gestiegen und erreicht damit den „Rekordwert“ von 29,3 %. Das heisst im Klartext, nicht einmal jeder Dritte dieser Altersklasse ist noch in Lohn und Brot, dafür ist aber jeder dritte Arbeitslose inzwischen älter als fünfzig Jahre. Das allerdings verschweigt die Bundesanstalt für Arbeit. Ein Sprecher des Arbeitsministeriums der Frau von der Leihen, riss dieses Ergebnis zu der euphorischen Aussage hin: „Wir sind auf einem sehr sehr guten Weg“. So sehen doch mal Erfolge aus.

 Merkwürdig ist es schon, dass gerade in letzter Zeit sich wieder die Stimmen mehren, die neben einer radikalen Verlängerung der Arbeitszeit auch weitere Einschnitte in das soziale Netz fordern. Von härteren Sanktionen und einer Herabsetzung der Bezüge bei Hartz IV-Empfängern, über eine stärkere finanzielle Beteiligung der Versicherten im Krankheitsfall, den Wegfall von Altersteilzeit, bis eben hin zu einer Verlägerung der Lebensarbeitszeit bis zu 80 Jahren oder bis ins Grab reicht die Foltertabelle der Cassandren aus den Wirtschaftsinstituten.

 Es fällt schwer dabei nicht an eine gesteuerte Kampagne zu glauben, als auch die Protagonisten immer die Gleichen sind. Ein Blick in den Wirtschaftsbeirat des oben erwähnten „Institut für Weltwirtschaft“ (IfW) gibt über die Hintergründe dieser Kampagne einen erhellenden Aufschluss. Dem Wirtschaftsbeirat des Instituts, der laut IfW die Aufgabe hat „den Präsidenten des IfW bei strategischen und operativen Entscheidungen zu unterstützen“, stehen als Vorsitzender, Konsul Prof. Dr. Hans Heinrich Driftmann, und als dessen Stellvertreter Prof. Dennis Snower, Ph.D., Präsident des IfW vor. Während also der Präsident sich selbst berät, ist Driftmann

  • geschäftsführender Gesellschafter der Peter Kölln KGaA aus Elmshorn.
 Driftmann war ab 2005

  • Vizepräsident des deutschen Industrie- und Handelskammertages und ab 2009 dann bis zum März diesen Jahres dessen Präsident. Er ist 
  • Mitglied des Verwaltungsrates der öffentlich-rechtlichen KfW Bankengruppe, 
  • Mitglied des zentralen Beirates der, von den deutschen Steuerzahlern vor dem Bankrott geretteten Commerzbank, 
  • Mitglied des Beraterkreises in der mit Steuergeldern vor dem Zusammenbruch geretteten IKB Deutsche Industriebank, 
  • Mitglied des Aufsichtsrates der ebenfalls mit Steuermitteln vor der Pleite geretteten HSH Nordbank, 
  • Mitglied im Unternehmerbeirat der DZ Bank und 
  • Beiratsmitglied der Deutschen Bundesbank, Hamburg.


 Das schwer beschäftigte CDU-Mitglied ist ausserdem noch Vorstandsmitglied der "Hermann Ehlers Stiftung". Die Stiftung betrieb bis in die 90er Jahre des letzten Jahrhunderts mehrere Studentenwohnheime in Norddeutschland. In diesen Studentenwohnheimen wurde, steuersparend, politische Indoktrination im Sinne eines stockkonservativen und wirtschaftsliberalen Weltbildes betrieben, indem in den Heimen Vorträge und Seminare für die dort lebenden Studenten veranstaltet wurden. Erst Anfang der 2000er Jahre verkaufte die Stiftung die Wohnheime, bis auf das in Kiel und wippnete sich nun nur noch der politischen Arbeit.

 Weitere Beiratsmitglieder sind unter anderm:

  • Martin Blessing (Vorsitzender des Vorstands, Commerzbank AG), 
  • Stefan Dräger (Vorsitzender des Vorstands, Drägerwerk AG & Co. KGaA), 
  • Dr. John Feldmann (Vorsitzender des Vorstands, Hertie-Stiftung),
  •  Robert Friedmann (Sprecher der Konzernführung, Würth-Gruppe), 
  • Dr. Reinhard Göhner (Hauptgeschäftsführer, Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände), 
  • Dr. Thorsten Grenz (Vorsitzender der Geschäftsführung, Veolia Umweltservice GmbH), 
  • Dr. Kurt-Ludwig Gutberlet (Vorsitzender der Geschäftsführung, BSH Bosch und Siemens Hausgeräte GmbH), 
  • Christoph Keese (Konzerngeschäftsführer Public Affairs, Axel Springer AG), 
  • Dr. Tessen von Heydebreck (Vorsitzender des Vorstands, Deutsche Bank-Stiftung), 
  • Liz Mohn (Stellvertretende Vorsitzende der Bertelsmann-Stiftung), 
  • Prof. Dr. Klaus Murmann (Chairman Emeritus, Sauer-Danfoss Inc.), 
  • Steffen Naumann (Chief Financial Officer, The Zuellig-Group), 
  • Professor Dr. Bernd Rohwer (Minister a.D.), 
  • Dr. Johannes Teyssen (Vorsitzender des Vorstands, E.ON AG), 
  • Dr. Volker Treier (Chefvolkswirt, DIHK), 
  • Angelika Volquartz (Oberbürgermeisterin a.D.) und 
  • Erk Westermann-Lammers (Vorstandsvorsitzender, Investitionsbank S-H) an.


 Aus dieser Liste und aus der Tatsache, dass der Mitgliedsbeitrag für die Einzelperson 500 € und für Organisationen 750 € jährlich betragen, kann man herleiten, dass dieses Gremium nicht gerade für Herrn und Frau Mustermann eingerichtet wurde. Es zeigt welcher Leute Interressen das IfW vertritt und damit auch, von welchen Interressen die neue Debatte über die Verlängerung der Lebensarbeitszeit getragen wird.

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